Burschen heraus! - Allerlei Wissenswertes über Studentenlieder und ihre Entstehung

 

Vortrag von Dr. Paul Wirth v/o Streich (1913 – 1981, aktiv 1931/32),

gehalten anlässlich der 78. Generalversammlung der Alt-Wengia vom 20. November 1976 im Landhaussaal (Erweiterte Fassung).

 

1) Ursprung und Herkunft des deutschen Studentenliedes.

Meine Ausführungen beschränken sich auf Verhältnisse in Deutschland und im deutschen Sprachgebiet, denn das Couleurstudententum, so wie wir es kennen, nahm seinen Anfang in den deutschen Klein- und Mittelstaaten, die eigene Universitäten besassen, obwohl studentisches Brauchtum schon Im ausgehenden Mittelalter, z.B. in Paris und Bologna, aber in anderer Prägung vorhanden war, ehe sich an deutschen Hochschulen das spezifisch deutsche Studententum mit Verbindungen, Farben, Comment, Zeremonien und den deutschen Studentenliedern entfaltete.

Selbstverständlich gab es im ganzen deutschen Sprachgebiet, - inklusive in Böhmen mit Prag, wo 1348 die erste deutsche Universität errichtet wurde, ferner im deutschsprachigen Baltikum (Universitäten in Riga und Dorpat seit 1630), sogar in Olmütz, Krakau, Warschau und Lemberg, das 1784 eine deutsche Universität erhielt, an der bis 1862 die Unterrichtssprache Deutsch war, - Studentengruppen, welche deutsche und heimatliche Volks- und Studentenlieder sangen.

Der Ursprung der heutigen, uns bekannten Studentenlieder, wie sie in den Kommersbüchern aller Farben überliefert sind, liegt also im Raume Deutschland, wenngleich es auch schweizerische, österreichische und Prager Studentenlieder gab. Pro memoria sollen einige dieser Lieder erwähnt sein, weil sie in unserer Zeit kaum mehr gesungen werden: Vom Schweizer Dichter Martin Usteri ist das Lied zu nennen, freilich mehr im Volksliedcharakter, «Freut euch des Lebens» aus dem Jahr 1793. «Wir lugen hinaus in die sonnige Welt» ist 1882 von Hermann Bienert, einem Prager Studenten, gemacht worden. Josef John, ebenfalls ein Prager Burschenschafter, schenkte uns 1867 das Lied «Ein treues Herz voll Lieb und Lust». Franz Grillparzer, schuf 1816 ein echtes, bei uns allerdings kaum bekanntes Studentenlied «Ohne Geld, doch ohne Sorgen! Was gleicht meiner Seligkeit? Geld, ei Geld, das kann ich borgen, doch wer ist, der Frohsinn leiht?» Der Grazer Student Gspandl hinterliess uns den Kantus «Beim Rosenwirt am Grabentor».

Als eine der Hauptquellen des deutschen Volksliedes, und somit auch des Anfangs des deutschen Studentenliedes, gilt das Lochamer oder Lochheimer Liederbuch, entstanden zwischen 1450 und 1460. Es ist eine handgeschriebene Sammlung von damaligen Minne-, Volks- und Kunstliedern, benannt nach dem Nürnberger Patrizier Wolflin von Locham. Die Handschrift enthält 45 Musikstücke, darunter 13 Volks- und 3 Kunstlieder. Im Kantenprügel neuerer Auflagen ist davon ein frommer Kantus enthalten: «All mein Gedanken, die ich hab».

 

2) Der historische und patriotische Hintergrund des deutschen Studentenliedes.

Zum besseren Verständnis der Entstehungsgeschichte des Studentenliedes muss ich meine Ausführungen mit einigem historischem Beiwerk schmücken.

Im 16. bis zum 18. Jahrhundert schlossen sich im damaligen deutschen Sprachgebiet die ausländischen Studenten einer Universität zu sog. «Landsmannschaften» zusammen. Ihnen gehörten die Studenten der einzelnen deutschen Staaten an. In den Landsmannschaften schlossen sich demnach die Staatsangehörigen der damaligen innerdeutschen Staatengebilde zusammen, waren also von Haus aus mit deutschen Geist durchdrungen. Sie wahrten, mit unterschiedlichem Eifer, die «nationalen» Interessen ihrer Studenten, auch wenn es nach aussen vielleicht mehr ein partikularistisches Verhalten war.

Der Überfall der Franzosen Ende des 17. Jahrhunderts auf das Elsass, auf Strassburg 1681 und die Pfalz, namentlich die grausame Verwüstung der Städte Heidelberg, Mainz, Mannheim und Worms in den Jahren 1689 und 1693 durch eine zügellose Soldateska unter dem Scheusal Mélac (weshalb noch heute in der Gegend von Worms jeder schlechte Hund mit dem Namen Mélac beschimpft wird), verursachte einen durch das ganze 18. Jahrhundert schwelenden Hass auf Frankreich, und schliesslich führten auch die Feldzüge Napoleons in Deutschland zur Empörung des germanischen Heldenblutes. Diese Strömung breitete sich aus bis zur Reichsgründung nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871.

Ein erstes Anzeichen des deutschen Nationalbewusstseins war die Gründung des Göttinger Dichterbundes 1772, genannt «Göttinger Hain». Dieser Bund junger studierender Dichter in Göttingen, dem Klopstock und seine Epen wegen der altdeutschen und religiösen Stoffe als Vorbilder dienten, hat die deutsche Liederdichtung stark beeinflusst. Der Bund selber verfocht keine politischen Ziele, schwärmte aber für freiheitlichen Patriotismus und lehnte den französischen «Esprit» ab.

Auf kulturellem Gebiet ist zu erwähnen, dass zwischen 1806 und 1808 die deutsche Liedersammlung «Des Knaben Wunderhorn» von Arnim und Brentano, jedoch ohne Melodien, entstanden ist. Diese Liedersammlung gilt als die Wegbereiterin der deutschen Kommersbücher verschiedener Herkunft und Farben. Zur gleichen Zeit hat Johann Gottlieb Fichte seine berühmten «Reden an die deutsche Nation» herausgegeben, die zunächst freilich keine grosse Breitenwirkung ausstrahlten, später aber doch ihre erzieherische Wirkung auf die deutsche Nation ausübten. Fichte weckte leidenschaftlich das nationale Bewusstsein, lehnte die Gewöhnung an Unterwerfung ab, die zur Sklaverei führe und die (deutsche) Ehre abstumpfe; er warnte vor der «Süssigkeit des Dienens» und beschwor Junge und Alte, Denker, Dichter und Fürsten gegen die «hemmenden Fesseln ... den Geist zu erheben zum Gedanken der Freiheit». Er selber starb 1814 während der Vorbereitungen zum Befreiungskrieg am l.ozorettfieber, legte also ein deutliches Zeichen seiner vaterländischen Begeisterung ab.

Die Kriege Napoleons zwischen 1805 und 1815 haben die gesamte deutsche Jugend zu einem nationalen Erwachen aufgerufen und sie für den Freiheitskampf begeistert. Die Zeit war reif geworden für eine Sammlung der vaterländisch gesinnten Kreise, und dazu folgende Beispiele: Zum Schill'schen Husarenregiment 1807 und 1809, das die Erhebung gegen Napoleon zum Ziele hatte, und zum berühmten Freikorps des Majors Freiherrn von Lützow 1813-15, das sich den gleichen Zielen verschrieb, meldeten sich scharenweise Studenten und viele Dichter wie Theodor Körner, Ernst Moritz Arndt (der spätere und erste Herausgeber des Allgemeinen Deutschen Kommersbuches 1858), ferner Joseph von Eichendorff, Achim von Arnim, der Turnervater Friedrich Ludwig Jahn, Max von Schenkendorf und andere. Sie alle haben die patriotisch-chauvinistische, zugleich aber auch die studentische Liederdichtung bereichert. Von Körner ist, nach seinem frühen Tod, 1814 die Kriegsliedersammlung «Leier und Schwert» und das Studentenlied «Es blinken drei freundliche Sterne ins Dunkel des Lebens hinein», herausgekommen, das Carl Maria von Weber 1820 vertont hat.

 

3) Die deutschen Burschenschaften und die ersten Burschenlieder.

Aus studentischer Sicht gesehen war eine erste Folge dieser vaterländischen Hochstimmung die Gründung der «Deutschen Burschenschaften» am 12. Juni 1815 zu Jena, obwohl es schon burschenschaftliche Vorläufer gab (z.B. die «Giessener Schwarzen», so benannt nach der altdeutschen schwarzen Tracht). Die Haupttriebkraft der burschenschaftlichen Bewegung war der Turnervater F. L. Jahn. Die Grundgedanken waren! ihre Mitglieder in der ständigen Waffenfertigkeit zu erhalten, sie wehrhaft zu machen, weshalb das Fechten und Duellieren kräftig gefördert und militärische Übungen durchgeführt wurden wie Tore und Strassen verrammeln, Schanzen anlegen und exerzieren.

Diese burschenschaftlichen Korporationen, welche an deutschen Universitäten zwischen 1815 und 1819 gegründet wurden, gelten somit als die Vorläufer der Studentenverbindungen an den Hochschulen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz: von Mittelschulverbindungen ist dagegen nirgends die Rede. Allerdings mussten die deutschen Burschenschaften bereits 1819 wegen eines politischen Mordes durch den Burschenschafter Sand am Dichter August von Kotzebue wieder aufgelöst werden. Das führte innerhalb der deutschen Studentenschaft zu den sog. Demagogenverfolgungen. Diese zwangen die Burschenschaften ihren politischen Charakter zu verschleiern, und etwa von 1830 an nannten sie sich «Verbindungen» i diese Bezeichnung ist den studentischen Korporationen bis auf den heutigen Tag geblieben. Von Burschenschaften wird heute kaum mehr gesprochen. Die Jahre zwischen 1833 und 1859 waren die Zeit des sog. Progresses, eine Strömung, welche die Beseitigung der Unterschiede zwischen Bürgertum und Studententum und die Abschaffung des Verbindungswesens mit Couleur, Zeremonien und Duell zum Ziele hatte.

Hier seien einige Daten über Gründungen schweizerischer akademischer Verbindungen eingeflochten. 1819 wurde in Zofingen die Zofingia als schweizerische Studentenvereinigung mit vaterländischer Gesinnung gegründet. 1832 erfolgte in Hitzkirch die Gründung der Helvetia mit der Devise «Vaterland, Freundschaft, Fortschritt» in entschieden freisinniger und volkstümlicher Richtung; sie spaltete sich aus dem Zofinger verein ab. Die ersten Gründungen der akademischen STV-Verbindungen erfolgten in Basel 1862 (Raurachia), in Zürich 1863 (Turicia) und 1865 in Bern (Burgundia). Alle diese Korporationen hatten aber auch Ableger an schweizerischen Mittelschulen, denn schliesslich gehen ja die Wurzeln der Wengia auf die 1863 in Solothurn gegründete Sektion der Helvetia zurück, welche 1883 durch regierungsrätlichen Beschluss aufgelöst werden musste und ein Jahr später zur Gründung der Wengia führte.

Die burschenschaftliche Bewegung übernahm gewisse Ideen und Bräuche der alten Landsmannschaften; sie führte den Wahlspruch «Dem Biederen Ehre und Achtung» und wählte die Farben Schwarz-Rot-Gold, welche zuerst von der Arminia Jena getragen wurden und der Uniform des Lützow'schen Freikorps entlehnt waren (daraus wurde später sogar die National-Flagge des Deutschen Reiches).

Die Burschenschaften waren, und darin liegt der wesentliche Unterschied zu den alten Landsmannschaften: von Anfang an auf gesamtdeutschnationale Ziele gerichtet (Einfluss Fichtes), ihr Ruf galt der Einheit der deutschen Nation, sie lehnten also die partikularistischen deutschen Staatsinteressen ab und wollten deshalb alle Studenten einer Universität, nicht nur die einzelnen Volksgruppen, umfassen Schliesslich legten sie auch grossen Wert auf die Bekämpfung der alten rohen Studentensitten. Kurz und gut, sie erstrebten ein hohes vaterländisches Ideal; die meisten Verbindungen wählten denn auch die Devise: «Ehre, Freiheit, Vaterland» oder «Frei ist der Bursch» oder «Gott, Ehre, Freiheit, Vaterland» (Alemannia Bann).

Der in dieser bewegten Zeit am meisten gesungene Kantus ist das Burschenschaftslied der Jenenser Burschenschaft. Er ertönte erstmals 1817 am ersten Wartburgfest an lässlich der Dreihundertjahrfeier der Reformation und zum Jahrestag der Schlacht bei Leipzig, wo Napoleon 1813 geschlagen wurde. Dieser Kantus, der auch in der Wengia gesungen wird, heisst: «Stosst an! (Wengia) soll leben! Hurra hoch!» Das Burschenlied «Burschen heraus!» ist dagegen erst 1844 entstanden. Es ist bis heute eines der urwüchsigsten Studentenlieder geblieben. Der Dichter Max von Schenkendorf, der 1813 im Freiheitskrieg als Freiwilliger diente, obwohl seine rechte Hand wegen eines Duells gelähmt war, schuf 1810 das Lied «Freiheit, die ich meine» (wobei «meine» als «minne» = lieben zu verstehen ist). Die meisten aus der Zeit der Befreiungskriege stammenden Vaterlandslieder haben natürlich einen kräftigen Rechtsdrall. Ernst Moritz Arndt hat z.B. 1812 in vaterländischem Überschwang das uns Schweizer Studenten wenig sympathische Burschenlied gedichtet «Der Gott, der Eisen wachsen liess, der wollte keine Knechte». «Bringt mir Blut der edlen Reben» hat Ernst Moritz Arndt 1817 kreiert und selber vertont und ist eine Lobpreisung auf deutschen Wein, deutsche Frauen und die Freiheit. Hoffmann von Fallersleben hat 1841, nach einer Melodie von Joseph Haydn, das ominöse prahlerische Heldenepos «Deutschland, Deutschland über alles» und der Jenenser Burschenschafter Karl Folien, der den Feldzug 1814 mitmachte, das Freiheitslied «Brause, du Freiheitssang» hervorgebracht. Allesamt sind das Studentenlieder, die schweizerischem Studententum fremd blieben, aber für die Verhältnisse in Deutschland damals eben charakteristisch waren und fleissig gesungen wurden.

Aber auch wir Schweizer Studenten wollen eines Dichters gedenken, der uns ein vaterländisches Lied von hehrem Klang hinter[1]lassen hat: Gottfried Keller mit dem Kantus «Heisst ein Heus zum Schweizerdegen». Das Lied hat Keller 1857, zwar nicht Studenten, sondern der damaligen Schweizerischen Militärgesellschaft zu ihrem Jahresfest gewidmet.

Ebenfalls ein patriotisches Lied, aber mit eigenartigem Gepräge, in Inhalt und Tonart schon weit mehr ein echter Studentenkantus, heisst «Strömt herbei, ihr Völkerscharen». Dieser Kantus wurde 1848 geschrieben, also zu einer Zelt, da es in Deutschland innen politisch gärte und die Revolution von 1848 den Versuch zur Bildung der Reichseinheit auslöste. Zwar ist uns Schweizern das prahlerische Deutschtum arg verhasst, doch kommt es diesmal in der 3. Strophe originell, aber etwas missfällig-burschikos zum Aus[1]druck: «Mag der Franzmann eifrig loben seines Weines Allgewalt, mag er voll Begeist’rung toben, wenn der Kork der Flasche knallt: nur am Rheine will ich trinken einen echten deutschen Trank, und so lang noch Becher blinken, töne laut ihm Lob und Dank!» - Aber was Wunder, wenn man bedenkt, dass im Deutschen Reich bis zum Ersten Weltkrieg jeweils der 1. September als sog. «Sedanstag» gefeiert wurde zur Erinnerung an die siegreiche Schlacht bei Sedan am 1. September 1870, wo Kaiser Napoleon III. in deutsche Gefangenschaft geriet. Dieser Sieg machte den Weg frei zur Gründung des deutschen Kaiserreiches und liess fortan allen patriotisch gesinnten Deutschen den Kamm gehörig wachsen (Gründung des Kyffhäuserverbandes 1871). Es gibt sogar ein Lied mit dem Titel «Zur Sedansfeier» in alten Kommersbüchern.

 

4) Die Entstehung der deutschen studentischen Corps.

Ich muss in meinem historischen Exkurs anknüpfen bei den Landsmannschaften des 18. Jahrhunderts, also den Vorläufern der deutschen Burschenschaften und Studentenverbindungen. Aus den Landsmannschaften entwickelten sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zuerst studentische Orden mit bestimmter Symbolik und komplizierten Ritualen; sie waren den Freimaurerlogen sehr ähnlich. Diese komplizierten, im Grunde genommen unstudentischen Gebilde, verschwanden nach kurzer Zeit. Dafür entstanden etwa zwischen 1789 und 1810 die studentischen Corps. (Die offizielle Schreibweise ist Corps mit C geschrieben und nicht mit K). Das Corps ist die älteste Gattung unserer Couleurverbindungen, hat jedoch eine ganz spezielle Prägung; die heutigen Couleurverbindungen gehen hingegen in ihrem Sinn und Geist auf die Burschenschaften und nicht auf die Corps zurück. Ein Corps bedeutet eine studentische Gemeinschaft der gleich streng Erzogenen mit überaus hohen, ja sicher überspitzten Ehrbegriffen, die schon bald nach ihrer Entstehung im ganzen 19. Jahrhundert heftig bekämpft wurden. Jedes Corps kennt die Bestimmungsmensur und den Satisfaktionszwang, was heissen will, dass sich ein Waffenstudent zu einer Mindestzahl von Mensuren verpflichten und dass er sich auf Grund einer persönlichen Forderung eines Kontrahenten zur scharfen Mensur stellen muss. Allerdings kennen deutsche und schweizerische Burschenschaften auch die Bestimmungsmensur, aber die unbedingte Satisfaktion ist doch eingeschränkt und da[1]mit dem Duellieren Einhalt geboten worden. Duelle auf Pistolen waren im ganzen 19. Jahrhundert bei den deutschen Corps zwar nicht die Regel, kamen aber doch immer wieder zum Austrag.

1810 sind in Heidelberg die ersten Corps gegründet worden (Corps Teutonia und Corps Saxo-Borussia) und in Göttingen das Corps Hannovera, dem Bismarck angehörte. In der Schweiz existierten in Zürich das Corps Tigurania, in Bern das Corps Alpigenia.

Die unter dem Einfluss des Patrioten und Turnervaters Jahn gegründeten Turnerschaften sind eine besondere Art studentischer Verbindungen; die meisten sind farbentragend bis auf den heutigen Tag, pflegen neben sportlichen Leibesübungen einen scharfen Comment, kennen aber auch die Bestimmungsmensur und die Satisfaktion, jedoch heutzutage in wesentlich milderen Formen, und sie erliegen nicht einem überspitzten Ehrenkodex. Sie widmen sich aber auch intensiv dem Studentenlied. Ihre Devise lautet: «Mens sana in corpore sano».

1816 entstand in Bern die Rhenania als «Vaterländische Turngemeinde»; daraus entwickelte sich erst 1900 die Akademische Turnerschaft Rhenania Bern mit unbedingter Satisfaktion. 1819 ist als «Gymnastische Gesellschaft» die Alernannia zu Basel gegründet worden, die sich 1911 zur «Akademischen Turnerschaft» mit unbedingter Satisfaktion erweiterte. Die Utonia Zürich wurde indessen erst 1873 als Studenten-Turnverein gegründet. Alle diese drei Verbindungen gehören zum Kartell der Schweizerischen Akademischen Turnerschaft, die aber eigentlich recht spät Bestimmungsmensur und unbedingte Satisfaktion eingeführt haben. Wie die deutschen, so stehen auch die schweizerischen Turnerschaften auf vaterländisch-patriotischem Boden. Die Rhenania Bern gehört übrigens zu den Gründern des Eidg. Turnvereins.

Die Couleurverbindungen sind in grossen deutschen Landesverbänden zusammengeschlossen (z.B. im Altherren-Coburger-Convent, der heute noch jedes Jahr über Pfingsten in Coburg mit grosser Beteiligung tagt). Der Kösenerverband umfasst nur die Corps der deutschen Universitäten. Der Kyffhäuserverband ist aus der vaterländischen Bewegung von 1871 entstanden mit den Farben Schwarz-Weiss-Rot; seit 1880 verlangt er von seinen Mitgliedern die arische Abstammung und die deutsche Muttersprache. Apropos: Antisemitismus. Manche Corps und Couleurverbindungen führten den sog. Arierparagraphen ein und verlangten, lange vor Hitler, den Nachweis arischer Abstammung. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu erfahren, dass 1896 in Österreich das üble «Waidhofener Prinzip» aufkam, wonach Juden die Satisfaktion mit der Waffe zu versagen ist, sie somit duellunwürdig und ehrlos zu erklären sind. Manche Corps lieferten übrigens auch Nachwuchs für Freimaurerlogen.

Die burschenschaftlichen Verbindungen und die Corps huldigen einem strikt eingehaltenen Bier-, Strassen- oder Mensurcomment; der Kösenerverband hat jedoch 1928 den Trinkzwang abgeschafft.

Alle farbentragenden Verbindungen üben «Freundschaft und Geselligkeit» bis ans Lebensende, kennen meistens auch das Lebensprinzip, wonach ein Mitglied keiner zweiten Verbindung beitreten darf (ausgenommen Unter- oder Nebensektionen).

Einen besonderen Studentenverband muss ich indessen noch erwähnen: Der Wingolf. Er entstand im Jahr 1830 an der Universität zu Erlangen. Einige Studenten von streng christlicher (protestantischer) Gesinnung taten sich zusammen um «unter sich im Gegensatz zu dem damals sehr lockeren Thun und Treiben der Erlanger Studentenschaft ein Leben zu führen, wie es eines christlichen Studenten würdig sei» (R. Fick). Die erste Korporation des Wingolf (ein altnordischer Name) war die Verbindung Uttenruthia, so benannt nach dem Dorf Uttenreuth bei Erlangen. Es erfolgten dann Wingolfgründungen in Jena, Halle, Berlin, Marburg, Bonn, Heidelberg und Strassburg. Mit unterschiedlichem Erfolg und wechselnder Begeisterung bekämpften die Wingolfiten die Gewaltherrschaft des Comments und den Duellzwang; dieser wurde aber nicht überall grundsätzlich verboten. Die Wingolfiten sind Couleurstudenten mit den Farben Schwarz-Weiss-Gold; sie haben ein eigenes Kommersbuch herausgegeben, das zahlreiche Lieder enthält, weiche im Allgemeinen Deutschen Kommersbuch nicht enthalten sind. Verwandte schweizerische Wingolfverbindungen sind die Zähringia in Bern, die Carolimgia in Zürich, Schwyzerhüsli in Basel und die Valdesia in Lausanne, alle sind im Falkensteinerbund zusammengeschlossen. Noch besonders hervorzuheben ist, dass sich die Corps und Verbindungen aus überspitzten Ehrbegriffen und Standesdünkel bis in die Zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts bitter bekämpften.

 

5) Studentensitten und die Entstehung des Fuchsentums.

Ich habe im Zusammenhang mit den alten Burschenschaften von den rohen Studentensitten gesprochen. Sie müssen, wie uns die studentische Literatur belehrt, in früheren Jahrhunderten schaurig-wüst gewesen sein. Bis zum ausgehenden Mittelalter galten die Studenten als «Vaganten», als umherziehende Scholaren und Sänger. Aus der damaligen Zeit stammen denn auch die Vagantenlieder. Betteln, stehlen, rauben, plündern und huren, verbunden mit Geschlechtskrankheiten, waren, wie Überlieferungen berichten, beinahe an der Tagesordnung. «Sie zogen in der Welt herum und zeugten viele Kinder» heisst es in einer Zusatzstrophen zum Kantus «Ein Heller und ein Batzen». Die unehelichen Studentenkinder wurden verächtlich «Bälger» genannt. Blutige Raufereien und Schlägereien mit tödlichem Ausgang waren keine Seltenheit; mit den Stadtwachen lieferte man sich regelrechte Strassenschlachten. Von Albrecht von Wallenstein, dem nachmaligen grossen Feldherrn, wissen wir, dass er um 1600 herum, als er in Altdorf bei Nürnberg studierte, in arge Prügelszenen, sogar mit seinem persönlichen Diener, und in einen Totschlag verwickelt war; er soll ferner, wie die Chronik berichtet, zusammen mit Kommilitonen einen Stadtrat zu Tode geärgert haben. Doch man höre und staune: selbst ein angesehener Professor war öfters in solche Szenen verwickelt.

Auch Felix Platter, der grosse Basler Arzt, berichtet eindrücklich und recht kurzweilig von ähnlichen Streichen unter den Studenten in Montpellier im 16. Jahrhundert.

Es muss damals randalierende Studentengruppen gegeben haben, welche eher kleinen Räuberbanden glichen und weit mehr schaurigen Landsknechtmanieren frönten als solchen gesitteter Scholaren. Mag sein, dass die berühmt-berüchtigte «Türkenschlacht» der Wengia im Jahr 1926 ein spätes Nachbeben jener derben Zeiten war. Jedenfalls scheint es erwiesen zu sein, dass die «schäumende Jugend» in der höchsten Potenz ihrer Sturm- und Drangperiode sich durch körperlichen Tatendrang zu allen Zeiten explosiv Luft schaffen muss.

Vom Zechen lustiger Gesellen in Auerbachs Keller in Leipzig gibt uns Goethe im «Faust» einen zwar poetischen, aber doch sehr rauhen Hinweis auf studentische Dummheiten und Sauereien alter Scholaren. Eichendorff, der 1805 in Halle zur Landsmannschaft der Schlesier gehörte, spricht vom «seltsamen Eindruck, den das Prosit und überhauptige Betragen der Studenten» und die dort vorgekommenen Rohheiten auf ihn machten, die «die Beine auf die Gassen heraushängend, in den Fenstern sassen und brüllten». Räuberszenen, Schlägereien und perfide Kundgebungen gegen unbeliebte Professoren, Diebereien hungriger und durstiger Studenten, welche Wein, Bier und andere Lebensmittel stahlen, waren gang und gäbe. Die damaligen Räuber- und Landsknechtlieder sind bis in unsere Tage mit betonter, aber doch verhaltener Freude bei den Couleurstudenten und wohlbestallten Alten Herren in deren Repertoire anzutreffen, so z.B. «Kommt der Landsknecht ins Quartier, schreit er gleich nach Wein und Bier, Wurst und Schweinebraten». Oder: «s gibt kein schönres Leben, als das Räuberleben in dem dustern, dustern Wald», ein Kantus, der als «Lied der Räuberhöhle» in alten Kommersbüchern noch enthalten ist.

Ein höchst romantisches Räuberlied, das schon immer auch ein ulkiges Studentenlied war, hat Christian August Vulpius, der Schwager des Herrn Goethe 1800 herausgebracht und heisst. «In des Waldes tiefsten Gründen und in Höhlen tief versteckt, ruht der Räuber allerkühnster, bis ihn seine Rosa weckt». Dieses Lied fehlt, wie zu erwarten war, in den neuesten Ausgaben des Kantenprügels. Mit ausschweifender Phantasie schildert der Dichter die angeblichen Heldentaten des Räubers Rinaldo Rinaldini. Immerhin: uns Wengianern zu meiner Berner Studienzeit hatte es dieser Kantus stets sehr angetan, er wurde immer erst in allerhöchster, gehobener Stimmung intoniert. Er ist übrigens vor etwa 30 Jahren im herzerfrischenden Schweizer Film «Die missbrauchten Liebesriefe» nach Gottfried Keller in diesen Film aufgenommen worden. Hingegen stammt das noch heute von schmissigen berittenen Studenten gesungene Landsknechtlied «Wohlauf Kameraden, aufs Pferd! Aufs Pferd!» nicht aus dem 30-jährigen Krieg, sondern es ist der Schlussgesang aus «Wallensteins Lager» von Schiller.

Die Einführung des Karzers war eine Wohltat für die durch üble Streiche schikanierte Bürgerschaft und schwächeren Kommilitonen. Jede Universität und jedes Gymnasium hatten Karzer seit alters her. Die Karzerstrafe war eine Freiheitsstrafe und konnte an Universitäten bis zu einem Jahr verhängt werden. Das «Jenaische Kanzerlied», das mit den Worten beginnt «Auf dem Karzer lebt sich's frei» gibt einen Einblick in das Studenten leben alter Zeiten; Karzer wurde z.B. in Jena verhängt, weil ein Studiosus eine Frau auf offener Strasse anpisste. Wallenstein kam auf die Idee, seinen Hund in den neuerbauten Karzer vorauszuschicken, weil es üblich war, dass der Karzer den Namen des ersten Delinquenten erhielt. Bismarck erhielt in Hannover 10 Tage Karzer wegen Anwesenheit bei einem Pistolenduell, im ganzen sass er 17 Tage im Karzer. Im allgemeinen wurde der Karzer als vergnügliche Strafe empfunden, wie uns zahlreiche Inschriften belehren. «Auch du, von deinem Giebeldach siehst mir um sonst, o Karzer, nach! Für schlechte Herberg Tag und Nacht sei dir ein Pereat gebracht».

Aus der randalierenden Verhaltensweise der Studenten wurde im Laufe der Zeit das Fuchsentum geboren. Es wird vermutet, dass das Wort Fuchs oder Fux vom Lateinischen fex = der Narr, stammt. Der Fuchs einer Couleurverbindung im 1. Semester heisst «krasser Fuchs», im 2. Semester wird er «Brandfuchs» genannt, warum so, ist nicht eindeutig klar. Man pflegte nämlich die Füchse zu brennen, indem man versuchte, ihnen mit Fidibussen die Haare zu versengen; um dem zu entgegen, gossen sich die schlauen Füchse Bier über ihre Häupter. Diese rauhe Sitte aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist später aus der Mode gekommen, geblieben ist nur noch der Name Brandfuchs, dem u.a. die Aufgabe zufiel, den Herren Burschen und Alten Herren ihre langen, teils bis auf den Boden reichenden Pfeifen zu stopfen, mit dem Fidibus anzuzünden und in den Strassen den Beutelträger mit Knaster, Zunder und Feuerstein zu spielen, eine Aufgabe, die jedoch auch jedem krassen Fuchsen zufallen konnte. Ein Fuchs durfte sich nach Studentenbrauch die frivolen Eigenschaften zulegen: Ruppig, geil und gefrässig. An die selige Zeit des Fuchsentum erinnert der schöne Kantus «Ich war Brandfuchs noch an Jahren, zwei Semester zählt ich nur».

 

6) Von studentischen Bräuchen und Sitten.

Zu den Studentenliedern gehörten seit jeher auch die besonderen studentischen Bräuche und Zeremonien, weshalb ich einige davon besonders erwähne

Kommers, Kneipe und Comment (Bier-, Strassen- und Mensurcomment) gehören im Couleurstudententum zusammen wie Pech und Schwefel. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich das Kommersleben. Der Kommers bedeutete von Anfang an eine feierliche Zusammenkunft der Korporationen, die sich nach bestimmten, von Verbindung zu Verbindung etwas verschiedenen Zeremonien abwickelte. Die Chargierten kleiden sich in Vollwichs und der ganze Kommersbetrieb, bei dem es immer hoch und hehr zugeht und trotzdem raue Mengen Bier getrunken werden, hat immer einen feierlichen Charakter.

Die Kneipe hingegen fand ursprünglich, im 18. Jahrhundert, nicht im Wirtshaus, sondern auf den einzelnen Studentenbuden statt und wurde «Hospiz» genannt, wobei der Hospes, also der Budeninhaber, seine Kommilitonen in feuchtfröhlichen Zusammenkünften bewirten musste. Aus dem Jahr 1794 stammt denn auch der Kantus «ich hab den ganzen Vormittag auf meiner Kneip studiert». Der Kneipe fehlt indessen der streng feierliche Charakter des Kommerses.

Kommers und Kneipe sind nicht denkbar ohne die Einhaltung eines strengen Comments. Der Biercomment in schriftlicher Form, entstanden aus dem studentischen Zech- und Saufrecht des 17. und 18. Jahrhunderts (erste kulturgeschichtliche Überlieferungen datieren aus den Jahren 1552 und 1616) soll 1815 zuerst in Heidelberg, in Jena in den 1840er Jahren und später in Leipzig entstanden sein. Geradezu meisterhaft stipuliert der Biercomment der Wengia den Sinn und Zweck wie folgt: «Dieser Biercomment hat den Zweck, die Fidelität der Wengianer zu fördern und sie vor dem abscheulichen Laster des stillen Suffes zu bewahren, sodann positive Regeln und Gesetze für alle Bierangelegenheiten aufzustellen, den Biergenuss vom kommunen und gewerbsmässigen Bierlappen der Philister zu unterscheiden und ein geordnetes und geregeltes Strafverfahren herzustellen». Der Bierskandal, ein Zweikampf auf Bier, dessen Umschreibung ein wesentlicher Bestandteil des Biercomments ist, geht auf alte Trinksitten zurück, er wird auch Biermensur genannt und häufig in Burschenschaften nach ähnlichen Regeln wie die Mensur ausgetragen.

Der Salamander ist die höchste studentische Ehrenbezeugung, die man einem An- oder Abwesenden oder einem toten Couleurbruder darbringen kann. Authentische Quellen gibt es so gut wie keine. Die Herkunft des Wortes liegt im Dunkeln; der Brauch als studentische Zeremonie ist in unserer Form nicht vor 1835 nachweisbar. Der Ursprung scheint in mittelalterlichem Aberglauben zu liegen, auch wenn die Sitte erst im 19. Jahrhundert zu voller Blüte kam. Nach der mittelalterlichen Theorie der sog. Elementargeister, welche Paracelsus in vier Klassen geschieden hat - Feuer (Salamander), Wasser (Undinen), Luft (Sylphen), Erde (Gnomen) - gelten die Feuersalamander der Sage nach als gutartige, menschenähnliche Wesen, die im Feuer leben, denn sie symbolisieren bei den Alchemisten das Feuer. Es wird denn auch beim Salamanderreiben, nebst dem Reiben und Trommeln mir den Gläsern, ein kleines Feuer angezündet. Nun liegt die Vermutung nahe, dass Geist und Wesen des in der Zeremonie Geehrten durch den Salamander der Mit- und Nachwelt überliefert werden sollen, da der Salamander ja als elfisches Wesen «feuerbeständig» ist. Faust beschwört z.B. diesen Geist in seinem Studierzimmer mit den Worten «Salamander soll glühen ... Verschwind in Flammen, Salamander!» - Eine andere Erklärung gibt R. Fick, die aber nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Nach ihm soll das Wort Salamander nur eine Zusammenfassung und Wortentstellung sein und bedeuten «Sauft alle miteinander!» Beim Totensalamander wird in manchen Verbindungen immer die 5. Strophe des Kantus' «Vom hoh'n Olymp herab» gesungen.

Der Fuchsenritt wurde ursprünglich im Freien und auf Pferden durchgeführt, wobei die Burschen Spalier bildeten und mit Ruten auf die Pferde schlugen, damit die Füchse herunterfielen. Später entstand der Fuchsenritt auf Stühlen, so wie wir ihn auch in der Wengia kennen. Die heutige Fuchsentaufe ist im Gegensatz zu den Taufen alter Zeiten, wo die Füchse auf gotteslästerliche Art mit Bier getauft wurden, eine fröhliche Zeremonie geworden, bei der sich Humor und Witz entfalten können und der Kantus «Was kommt dort von der Höh'» mit allen Schikanen zu singen ist. Dieser Kantus ist schon seit dem 18. Jahrhundert bekannt. Übrigens war die Ankunft der jungen Füchse in einer Universitätsstadt immer ein freudiges Ereignis, wie uns Bilder aus Jena, Leipzig und Halle zeigen. Die meisten Burschen, und wohl auch die Füchse, führten früher Spazierstöcke und Degen (daraus entstammt das Rapier), ferner bellende und beissende Hunde mit sich, und wenn sie kein Geld mehr hatten, so kamen sie eben auf den Hund, mussten ihn versetzen, entweder auf Bierehre, oder das Cerevis zum Pfande hinterlassen, oder den Eid in Biersachen mit dem Biernamen leisten, dem höchste Ehre zukam.

Der Biername oder unser vulgo wird bei uns auch mit Cerevis bezeichnet; aber Cerevis bedeutet in der deutschen Studentensprache das uns allen bekannte Kneipkäppchen der Chargierten und Hornfüchse zum Vollwichs. Die eigentlichen Biernamen sind erst aus der Zeit der sog. Bierstaaten bekannt, wo jeder Kneipant mit seinem Biernamen angeredet werden musste; jedenfalls ist die Sitte der Biernamengebung im 18. Jahrhundert noch nicht nachgewiesen, sie verbreitete sich erst im Kneipleben nach 1840.

Auch das Aufkommen der Couleur, inkl. Bierzipfel und Verbindungszirkel, lässt sich nicht mehr eindeutig bestimmen und datieren. Jedoch wird aus Halle aus dem Jahr 1717 berichtet, dass die dortige Landsmannschaft der Schwaben, Franken und Schweizer - also gab es damals neben den deutschen Landsmannschaften sogar eine solche mit Schweizer Studenten - an ihren Hüten gelb-schwarze Bänder trugen und sich durch diese Bänder von andern Landsmannschaften unterschieden. Im 17. und 18. Jahr[1]hundert und bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, etwa bis zum Auftreten der ersten Burschenschaften und Corps, trugen die Studenten regelrechte Trachten, sogar militärische Uniformen, Kokar[1]den oder farbige Maschen. Das farbentragende Verbindungswesen entwickelte sich so recht eigentlich erst nach den deutschen Befreiungskriegen. Gewöhnlich trug man ein dreifarbiges Band.

Die Verbindungszirkel sind mit den Corps und den Burschenschaften nach 1800 entstanden. Der Zirkel ist eine monogrammartige Verschlingung der Anfangsbuchstaben der Verbindung; gewöhnlich werden noch folgende Buchstaben in Minuskeln in die Verschlingung einbezogen: v. c. = vivat circulus (Alemannia) oder auch v. c. f. = vivat crescat floreat, oder der Burschenschaftszirkel wird in Verbindung mit der Devise E(hre) F(reiheit) V(aterland) gebracht, ein Zirkel übrigens, der von zahlreichen deutschen Burschenschaften gewählt wurde.

Die Bezeichnung Philister in der Studentenspreche ist nicht eindeutig geklärt. Die Philister waren ein alter Volksstamm in Palästina, und zwar im südwestlichen Küstengebiet mit 5 bedeutenden Städten, darunter Askalon und Gaza. Sie galten als die schlimmsten Feinde des auserwählten Volkes Gottes, der Israeliten. Vermutlich in einer Anspielung auf diese Feindschaft übertrugen die Studenten des 17. Jahrhunderts den Namen Philister auf ihre geschworenen Feinde, die Stadtwache, die Polizisten und schliesslich auf die gesamte nicht akademische Bürgerschaft, später auch auf die nichtkorporierten Kommilitonen, indem sich die Studenten der Landsmannschaften und in der Folge die Couleurstudenten mit den geistig Auserwählten verglichen. Man bezeichnete als Philister schliesslich auch jeden Bürger von ängstlicher, spiessbürgerlicher und beschränkter Lebensauffassung. Nach einem Bericht soll 1693 der Jenaer Superindendent und Geistliche Götze einer Leichenrede über einen von der Bürgerschaft erstochenen Landsmannschafter den Bibelspruch nach Richter Kap. 16 zugrunde gelegt haben «Philister über dir, Simsen», womit er seiner Feindschaft gegen die Spiessbürger beredten Ausdruck geben wollte. Im Laufe der letzten zweihundert Jahre ist denn der Ausdruck sogar auf Alte Herren übertragen worden, die mit dem Austritt aus dem aktiven Verbindungsleben sich ins Philisterium zurückzogen und sich nunmehr selbst Philister nannten. «Philister heisst man und alles ist aus; und die am tollsten gewettert, sind still und stumm, die Lieder vertönt, die Becher der Freuden zerschmettert» heisst es im prachtvollen Kantus «Wir lugen hinaus in die sonnige Welt». Oder die Worte im «Lied eines abziehenden Burschen» das Gustav Schwab 1814 schrieb: «Zur alten Heimat geh ich ein, muss selber nun Philister sein». Das Gegenstück zur Fuchsentaufe war das Komitat, eine Ehrenbezeugung, die man in feierlicher Aufmachung einem scheidenden Burschen zuteil werden liess. Man lese das Lied «Jenaisches Komitat».

Nach diesen historischen Streifzügen wollen wir uns den lieblichen Gefilden der schönen gehalt- und klangvollen Studentenlieder zuwenden.

 

7) Die geselligen Lieder.

Allen Kanten voran steht das ewig-schöne, jugendfrische Lied von Goethe, betitelt «Ergo bibamus!» Goethe hat dieses bacchantische Kleinod 1810 in Weimar gedichtet, zur Zeit, als er das 1. Buch seines Romans «Wilhelm Meisters Wanderjahre» und seine Farbenlehre schrieb. Es ist übrigens nicht ein eigenes Epos von Goethe, sondern ein umgeformtes, verbessertes Trinklied von Friedrich Wilhelm Riemer, der 1803 Lehrer von Goethes Sohn in Weimar war. Eberwein, der Vertaner des Liedes, war Hofkapellmeister zu dieser Zeit in Weimar. Eine von der Wengia nie gesungene Strophe passt ausgezeichnet in die bewegte Zeit jener Tage: «Mich ruft mein Geschick von den Freunden hinweg: ihr Redlichen, ergo bibamus! Ich scheide von hinnen mit leichtem Gepäck, drum doppeltes ergo bibamus! Und was auch der Filz von dem Leibe sich schmorgt, so bleibt für den Heitern doch immer gesorgt, weil immer dem Frohen der Fröhliche borgt; drum, Brüderchen, ergo bibamus!» (Einen Geizhals bezeichnete man schon seit dem 15. Jahrhundert als Filz).

Goethe hat uns übrigens noch zwei andere Studentenlieder hinterlassen: «In allen guten Stunden» (1775) und die in Moll gesetzte Ballade «Es war ein König in Thule» (1774).

Ein in allen Verbindungen bekanntes und stets gern gesungenes Lied, ist der tiefsinnige, ebenfalls in Moll gesetzte Gesellenkantus mit etwas tristem Unterton «Es hatten drei Gesellen» (1835). Wie passt doch die 2., in der Wengia unbekannte Strophe, so zutreffend zur wonnevollen, grillen- und sorgenfreien Jugendzeit, die heisst: «Sie lachten dazu und sangen und waren froh und frei, des Weltlaufs Elend und Sorgen, sie gingen an ihnen vorbei».

Ein anderes geselliges Lied ist der Kantus «Vom hohn Olymp her[1]ab ward uns die Freude». Diese Weise mit ihren erhabenen Worten erfreut seit bald zweihundert Jahren Studenten kreise immer wieder aufs neue. Des Dichters dieses Liedes, Heinrich Christian Schnoor, wollen wir ehrend gedenken. Er war Jurist, zog in den Jahren 1782 bis 1793 als fahrender Scholare mit seiner Gitarre von Hochschule zu Hochschule (Kiel, Erlangen, Göttingen, Jena, Leipzig) und hat es auf runde 22 Semester gebracht.

Ins Reich geselliger, festlicher Kanten gehört natürlich das Lied der Lieder «Gaudeamus igitur». Dieser vornehme, gehaltvolle Gesang der Musensöhne hat Christian Wilhelm Kindleben 1781 geschaffen; ein Mann, der sich als Dichter und Sammler deutscher Studentenlieder einen nationalen Namen gemacht und einen wertvollen Beitrag zu den verschiedenen Kommersbüchern geliefert hat, dem leider das Missgeschick passierte, obwohl er biederer Theologe war, dass er wegen unschicklicher Studentenlieder aus Leipzig ausgewiesen werden musste.

Erwähnt sei ferner der Kantus aus dem Jahr 1850 «Und wenn sich der Schwarm verlaufen hat», der in feuchtfröhlicher Stimmung immer wieder trink- und sangesfreudige Zecher begeistert.

 

8) Die romantischen, feucht-fröhlichen Studentengesänge.

Die grosse Zahl heiterer, fröhlicher, zuweilen recht übermütiger und romantischer Kanten gehen jedem Burschen und Alten Herrn, so sie ein durstig-wohliges Gemüt haben, tief in die Seele. Meist ist in diesen Liedern auch von der studentischen Liebe die Rede und wir wollen uns an der romantisch-verbrämten Seite der jugendlichen Minne in platonischer Zurückhaltung erfreuen - mag sein, dass sie zuweilen für unsere heutige Zeit etwas Gartenlaube-Kolorit hat.

Der schwungvolle Kantus «O wonnevolle Jugendzeit» ist ein einprägsames Gedicht von Otto Kamp und eine beschwingte Komposition von Otto Lob (der viele schöne Kanten vertont hat), 1885 entstanden. Auch hier hat die Wengia die reizende Strophe nie gesungen, die heisst: «Auf eines hält sie scharfe Acht unr.! lässt mit sich nicht spassen: wer je der Magd den Hof gemacht, würd "nimmermehr ihr passen. Zwar das Mamsellchen am Büffet ist höchst pikant und äusserst nett - und dennoch nicht aequalis der filia hospitalis».

Das allseits beliebte Lied «Keinen Tropfen im Becher mehr», stammt von einem Leipziger Corpsstudenten mit Namen Rudolf Baumbach, der noch viele andere Studentenlieder uns hinterlassen hat. Dieses Burschenlied hat seit genau hundert Jahren die studentische Jugend deutscher Zunge begeistert. Hiezu eine kleine Reminiszenz: Die im Lied genannte Wirtin lebte in Tat und Wahrheit und hat verwandte Züge mit Gilberte de Courgenay und dem uns bekannten Soldatenlied. Sie hiess in jungen Jahren Ännchen Schumacher, war Gastwirtstochter in Godesberg am Rhein. Es wird berichtet, dass über 50 Studentenverbindungen und hunderte von Burschen und Alte Herren bei der jungen Lindenwirtin sich ihrer Burschenherrlichkeit erfreuten. Das Gasthaus hiess «Zur Lindenwirten», wurde 1647 gebaut, 1971 fiel diese ehrwürdige Herberge dem Zahn der Zeit zum Opfer, weil die notwendigen Finanzen zur Renovation nicht aufzubringen waren. Die Tochter Ännchen, also die besungene Lindenwirtin, starb 1935 hoch in den Siebziger Jahren; sie sammelte Studentenlieder und gab sie unter dem Namen «Ännchen-Liederbuch» heraus. Die letzte Strophe des Liedes, die aber nicht im Kommersbuch steht, haben zwei Alte Herren nach durchzechter Nacht in chevaleresker Verehrung der Wirtin Ännchen gewidmet und gesungen: «Wisst ihr, wer die Wirtin war? Schwarz das Auge, schwarz das Haar? Ännchen war's die Feine. Wisst ihr, wo die Linde stand, jedem Burschen wohlbekannt? Zu Godesberg am Rheine». Wer hingegen die lüsternen Verse von der Wirtin auf der Ofenbank, vom Veterinär und vom stud. der Landwirtschaft hinzugedichtet hat, habe ich trotz meines Forschungseifers nicht erfahren können.

Zu den geselligen und Liebesliedern mit schwärmerisch-schmeichelnden Worten und anmutigen Melodien gehören die Gesänge «In jedem vollen Glase Wein» von R. Baumbach und «Wie glüht er im Glase». Diesen Kantus hat 1885 eine Couleurdame mit Namen Frida Schanz aus Dresden gedichtet. Erwähnt sei ferner der wohl bei jedem Couleurball gesungene Konfus «Gold und Silber lieb ich sehr», ein Lied, das in Studenten-, aber auch in andern geselligen Kreisen seit 1843 gesungen wird.

Ein Minnelied mit etwas süss-herbem Text, stammt von einem Schweizer mit Namen Meyenberg. Ob es sich beim Dichter um den katholischen Theologen Albert Meyenberg handelt, der von 1861-1934 lebte, als Kanzelredner und Theologieprofessor in Zug und Luzern wirkte, oder ob er gar nur der Komponist des Liedes ist,war mir nicht möglich herauszufinden. Er hat uns ein idyllisches studentisches Liebeslied mit sehr züchtigen, aber doch liebreizenden Versen und einer gefälligen Melodie geschenkt. Das Lied heisst: «Das Mädel aus dem ersten Stock im Hause mir grad gegenüber, das hatt' ich längst schon heimlich gern und Tag für Tag noch lieber». In der Wengia wird diese Perle studentischer Gesänge nicht gesungen, verdient aber hier erwähnt zu werden. Der Kantus «Mit meiner Mappe unterm Arm wollt ins Kolleg ich ziehn» stammt von einem Bonner Burschenschafter; es ist ein schwärmerisches Trink- und sehnsüchtiges Liebeslied. «Und wenn sich der Schwarm verlaufen hat» wird gewöhnlich angestimmt, wenn man zwar schon viel, doch nicht genug getrunken hat. Der Kantus stammt von einem Theologen und Wingolfiten mit Namen F. A. Krummacher.

 

9) Wander- und Gesellenlieder.

Das Leben der Studenten war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein verbunden mit Wandern von einer Universität zur andern. Auf diesen Wanderschaften haben sich zu den Scholaren Handwerksburschen, Kriegsvolk und Landleute zugesellt. Wenn die Scholaren Glück hatten, so konnten sie auf einem sog. Haudererwagen (einfacher Leiterwagen; unter haudern verstand man zu allen Zeiten ein grobschlächtiges, ungeregeltes Fahren) ein Stück des Weges mitfahren, aber meistens mussten sie zu Fuss durch das Land ziehen. Im «Lied eines fahrenden Schülers» von Emmanuel Geibel «Kein Tröpflein mehr im Becher» 1843 entstanden, also vor dem Eisenbahnzeitalter, steht geschrieben: «Ich zieh auf dürren Wege, mein Rock ist arg bestaubt, weiss nicht wohin ich lege in dieser Nacht mein Haupt».

Wer es vermochte beschaffte sich ein Reitpferd oder ein Maultier, oder reiste mit Postkutschen, die schon seit 1690 auf einigen Landstrassen Europas verkehrten, ein Stück des Weges; die Vornehmen bedienten sich vom 16. Jahrhundert an der damals aufgekommenen Kutschen als Reisewagen. Felix Platter ritt 1552 in 21 Tagen mit einem Pferd von Basel über Bern und Genf nach Montpellier.

Unser hochverehrter Couleurbruder, Rolf Roth v/o Disteli, war in jungen Jahren als Kunstmalergeselle auf der Walz. Er wer in Dresden in einem grossen Schneideratelier tätig; durch glücklichen Zufall kam er auf Empfehlung eines Professors in die Königlich-Sächsische Kunstakademie in Dresden, und von da an begann seine Künstlerlaufbahn. Er hungerte sich, wie er mir in einem Brief schreibt, «mit wenig Geld von zu Hause und mit spanischen Nüsschen durch.» Im Frühling 1910 verliess er Dresden zu Fuss, walzte über Freiberg, das Erzgebirge, durch Deutsch-Böhmen über Karlsbad, Eger, Nürnberg, Ansbach, Rothenburg ob der Tauber, Dinkelsbühl, Ellwangen nach Ulm, von hier über Tuttlingen, Singen, Stein am Rhein, Laufenburg, Frick, Kienberg nach Olten und Solothurn. Nach meiner Berechnung waren das zirka 950 km, die Ralf Roth zu Fuss zurücklegte; er brauchte, soviel er sich heute noch entsinnen kann, etwa 3 Wochen; im Tag legte er also zwischen 45 und 50 km zurück. 1911 war er nochmals an der Kunstakademie in Dresden und hat ungefähr die gleiche Strecke nochmals zu Fuss gemacht, ging aber über Solothurn hinaus nach Martigny, über die Grimsel bis Meiringen. Seine Vorbilder waren, wie er mir schreibt, die armen Schweizer Soldaten, die 1812 bis zur Beresina, nach Moskau und zurück marschierten.

Die fahrenden Scholaren zogen sangesfreudig «mit der Fiedel auf dem Rucken, mit dem Käppel in der Hand» wie die Prager Musikanten durch das weite Christenland (Lied von Wilhelm Müller 1821), sie waren wohlgemut von früh bis spät. In einem alten Studentenlied aus dem 18. Jahrhundert «Ich lobe mir das Burschenleben», vertont von Carl Maria von Weber, heisst es «Und hat der Bursch kein Geld im Beutel, so pumpt er die Philister an und spricht: Es ist doch alles eitel, vom Burschen bis zum Bettelmann». Der gleiche Vers findet sich übrigens auch in «Krambambuli». Im allbekannten Wander- und Gesellenlied «Bin ein fahrender Gesell» von Rudolf Baumbach, das mittlerweile nicht blass ein Studentenlied, sondern auch ein beliebtes Volkslied mit diversen Versabwandlungen geworden ist, ein Kantus, der so recht mit studentischem Vivace und anschwellendem Fortissimo zu singen ist, steht die Strophe: «Was ich heut nicht zahlen kann, zahlen will ich's künftig, darum schreib's mit Kreide an, Wirt, und denk vernünftig». Oder im Kantus «Ich hab den ganzen Vormittag auf meiner Kneip studiert» (1794) heisst es im letzten Vers: »Herr Wirt, nehm er das Glas zur Hand und schenk er wieder ein! Schreib er's nur dort an jene Wand, gepumpet muss es sein! Sei er fidel! ich lass ihm ja mein Cerevis zum Pfande dc!»

In diesen Versen ist von Kreide die Rede, oder «angekreidet wird hier nichts, weil's an Kreide uns gebricht». Zechen und Schulden wurden früher mit Kreide auf ein schwarzes Brett geschrieben, der Zecher musste sich ankreiden lassen, oder die Zeche wurde mit einer Kerbe auf das sog. Kerbholz eingetragen. Ins Kamin schreiben bedeutete, dass der Rauch die Kreidestriche geschwärzt, somit ausgetilgt und sich die Schuld wie Rauch verflüchtigt hat.

Die Burschenzeit nach 1800 war eine Zeit unbeschwerter Lebenslust, voller Freuden und launiger Weisen. Der nachwirkende Einfluss von Rousseau ist unverkennbar und hat aus studentischer Sicht den Niederschlag in den frohmütigen Liedern dieser Zeit gefunden. Joseph von Eichendorff drückt diese Stimmung im «Leben eines Taugenichts» mit den poetischen Worten aus: «Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüte». Der besungene Taugenichts, der ja das Spiegelbild des Dichters selber ist, spielte die Geige auf freiem Feld und sang dazu «Wem Gott will rechte Gunst er[1]weisen, den schickt er in die weite Welt». Laute, Gitarre, Flöte oder die Fiedel waren die ständigen Begleiter der fahrenden Scholaren, aber selbst die Harfe wurde als Begleitinstrument verwendet, wie uns Felix Platter berichtet.

Zu den beliebtesten Gesellen-, Handwerks- und Wanderliedern zähle ich den Kantus «Im Krug zum grünen Kranze» i er stammt vom Lyriker Wilhelm Müller (1821), der auch das Volkslied gedichtet hat «Das Wandern ist des Müllers Lust». Krug wird im norddeutschen und ehemals ostdeutschen Sprachgebiet heute noch verwendet zur Bezeichnung einer einfachen Schenke, in der man ehemals Wein und Bier in Krügen und Zinnbechern servierte.

Der Kantus der Prager Studenten «Nach Süden nun sich lenken» steht ebenfalls im «Taugenichts» von Eichendorff, spricht allerdings eine viel herbere Sprache und zeugt nebenbei auch von einem mühseligen Studenten leben mit Nöten und Sorgen.

Ich will hier auch einige Handwerksburschenlieder erwähnen, obwohl diese heute nur noch selten von Studenten gesungen werden und obwohl sich die Studenten mit den Handwerksburschen immer schlecht vertrugen und sich oftmals in die Haare gerieten. Ich nenne z.B. das etwas rührselige Heimwehlied «Nun leb wohl, du kleine Gasse», ferner das hübsche, für einen gewöhnlichen Handwerksburschen beinahe zärtliche Lied «Von allen den Mädchen so flink und so blank, gefällt mir am besten die Lore», ein Gesellenlied aus dem Jahr 1797, ist aber nicht von einem Handwerker, sondern von einem Juristen zur Welt gebracht worden. Auch das Lied von Franz Schubert «Am Brunnen vor dem Tore» nach einem Gedicht von Wilhelm Müller, ist als Volks- und Wanderlied hier einzureihen. Und nicht vergessen wollen wir «Ein Heller und ein Batzen» mit diversen mehr oder weniger ulkigen Erweiterungen, wobei die Wengia leider die typische Wanderstrophe weglässt.

Das allerschönste Studenten- und Wanderlied mit flottem Marschrhythmus ist der Kantus «Wohlauf, die Luft geht frisch und rein». Er stammt von Josef Viktor Scheffel aus den 1850er Jahren und zeugt von einer echten, aufgeschlossenen Natur- und Erdverbundenheit der damaligen Studenten, denen das Wohl und Wehe des Landes eindrücklich zu Herzen ging. Da wird nun aber aus mir unverständlichen Gründen die hübscheste und sinnvollste Strophe mit den inhaltsreichen Worten in der Wengia nicht gesungen; sie heisst: «Der Wald steht grün, die Jagd geht gut, schwer ist das Korn geraten; sie können auf des Maines Flut die Schiffe kaum verladen. Bald hebt sich auch das Herbsten an, die Kelter harrt des Weines; der Winzer Schutzherr Kilian beschert uns etwas Feines». Ich habe vor sechs Jahren das Frankenland bereist und bin bei dieser Gelegenheit auf den Staffelstein ge[1]stiegen. Der Staffelberg als höchste Erhebung des Staffelsteinmassivs selbst ist blass 541 Meter über Meer; er war zur Keltenzeit eine Wallanlage. Er liegt im Frankenland nördlich von Coburg bei der kleinen Stadt Lichtenfels nahe der Ostzone. Es ist ein einsamer, herrlicher Berg mit einer einzigartigen, zauberhaft schönen Rundsicht bis zum Thüringer Wald, zur Hohen Röhn, zum Frankenjura, bis Bamberg und weit das schöne Maintal hin[1]unter bis zum Grabfeldgau. Ich habe alles ungefähr so angetroffen wie es im Liede steht: ich sah die Lande um den Main zu meinen Füssen liegen; von Bamberg bis zum Grabfeldgau umrahmen Berg und Hügel die breite, stromdurchglänzte Au, ja, ich wollt mir wuchsen Flügel. Selbst den Einsiedelmann sah ich, blass war just nicht die Zeit zum Mähen, und infolgedessen keine schöne Schnittrin zugegen, die den ehrwürdigen Geistlichen von seinem hohen Amt abzuhalten vermochte und er also keine Zeit fand, sich von hinnen zu begeben. Unten im Nordosten liegt der besungene Wallfahrtsort «Zu den 14 Heiligen» und dem Heiligen Veit, dem ich selbstredend meine Reverenz erwies.

 

10) Kneip- und Trinklieder.

Einer der originellsten Trinkgesänge ist der Kantus «Ça ça geschmauset» mit vielen Strophen, die von poetischen Zechern ergänzt worden sind. Er ist wohl einer der ältesten und doch immer wieder gern gesungenen Kanten des Kommersbuches, um 1720 herum entstanden und vom bereits erwähnten Christian Wilhelm Kindleben in dessen Liedersammlung aufgenommen worden.

Ein Lied aus dem Jahr 1767, mit zwar makabren Worten, das aber trotzdem in Kneipen und Kommersen heitere Stimmung bringt, heisst «Ihr Brüder, wenn ich nicht mehr trinke». Dichter und Vertaner sind unbekannt.

Ein markantes und sehr voll tönendes Lied, das leider nur noch die älteren Semester kennen und in der Wengia nicht mehr gesungen wird, beginnt mit den Worten «Der Bierstaat nur, der Bierstaat sei es, in ihm liegt unser Heil allein. Und ganz Europa wird ein freies, ein permanentes Lichtenhain. Man säuft als wie ein Kannibale, im Katzenjammer kommt das Glück. Das ist die neue soziale, die veilchenblaue Republik». Das Deutsche Volksliederarchiv in Freiburg i. Br. teilte mir auf meine' Anfrage mit, dass das Entstehungsjahr und der Verfasser nicht mehr feststellbar sind, dass es aber vor 1855 geschrieben wurde. Jedenfalls ist es ein Kantus, der verdient besonders erwähnt zu werden. Warum und was ist mit diesem Lichtenhain gemeint? Lichtenhain ist ein Dorf bei Jena, bekannt durch seine Bierbrauerei, die ein obergäriges dunkles Bier braut von säuerlich-rauchigem Geschmack, in der Farbe ähnlich dem Bamberger Rauchbier. Die Dörfer Lichtenhain, Ziegenhain, Wöllnitz und Dorndorf gehörten in der Jenenser Studentensprache zu den sog. «jenensischen Bierdörfern», wo vermutlich der sinnvolle Paragraph 111 kreiert wurde und seither in jedem Biercomment Aufnahme gefunden hat: «Auch auf den Dörfern wird fortgesoffen!» Es gibt ausserdem einen Kantus, betitelt «Lichtenhain». Und aus Jena kommt ferner der Kantus «Das schwarzbraune Bier, das trink ich so gern und schwarzbraune Mädel, die küss ich so gern!» In Lichtenhain wurde in der Zeit der Brierdörferkultur (etwa von 1820 an) jeweils unter Studenten und biertrinkenden Bürgern mit allerlei Ulk der Bierstaat - eben «die soziale, die veilchenblaue Republik» - mit mehrtägigem «Hoftag» kannibalisch gefeiert.

Der Trinkgesang «Krambambuli» ist ein sehr alter, origineller Kantus, seit 1745 bekannt. Was ist Krambambuli? Ursprünglich, d.h. im 18. Jahrhundert, bezeichnete man in Danzig und Umgebung einen Wacholderschnaps als Krambambuli, ein Name, dessen Herkunft auf Krammetsvogel = Wacholderdrossel gedeutet wird. Mit der Zeit wurde er ein aus Wacholder, Kräutern und Gewürzen gebrauter alkoholischer Likör. Ostdeutsche und vermutlich auch baltische Studenten bezeichneten dann aber auch ein aus Rum, Arrak (Reisbranntwein) und Zucker gebrautes Getränk als Krambambuli.

Nach der Weise des spanischen Tanzes Chachucha wird der biedermännische Zecherkantus «Grad aus dem Wirtshaus nun komm ich heraus» gesungen.

Allbekannte Trinklieder mit sehr humorigen Inhalten sind die Kanten «Trinke nie ein Glas zu wenig» und «Trinken sang Anakreon», seit 1810 bekannt, aber leider fehlt er in den letzten Ausgaben des Allgemeinen Deutschen Kommersbuches. Darin fehlen zu meinem Bedauern aber auch die Lieder «Ich trag' in meinem Ranzen alter Stiefel zwei», «Der Papst lebt herrlich in der Weih, ein Kantus aus dem Jahr 1789, der aber aus begreiflichen Gründen in katholischen Landen arg verpönt war und nunmehr, trotz der spassigen Worte, aus dem Kantenprügel gestrichen werden musste. Sodann fehlen im Kommersbuch unverständlicherweise die herrlichen Lieder «Ich war Brandfuchs noch an Jahren» und «Weg mit den Grillen und Sorgen».

Ein Studentenlied von echtem Schrot und Korn ist der volltönende Kantus «Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren», von einem Breslauer Arzt und Corpsstudenten gedichtet; deshalb ist die 3. Strophe besonders erwähnenswert: «Unser Arzt studiert den Katzenjammer, Trinkgesänge schreibt der Hofpoet; der Hofmundschenk inspiziert die Kammer, wo am schwarzen Brett die Rechnung steht; und der Herr Finanz liquidiert mit Glanz, wenn man contra usum sich vergeht».

Das so betitelte drollige «Trinklied» beginnt mit den Worten «So pünktlich zur Sekunde trifft keine Uhr wohl ein, als ich zur Abendstunde beim edlen Gerstenwein».

Nicht vergessen wollen wir den Kantus «Ich gehe meinen Schlendrian und trinke meinen Wein». Mit den Worten «zieh an was mir gefällt» hatte es nämlich in den deutschen Burschenschaften eine besondere Bewandtnis: bei den farbentragenden Verbindungen galt das sog. Schäbigkeitsprinzip, d.h. es durfte ein Couleurstudent wohl abgetragene und schäbige Kleider tragen, bloss ganz oder gut geflickt mussten sie sein.

Das von romantischer Jugendlust schäumende Burschenlied «Wir lugen hinaus in die sonnige Welt» ist ein Lobgesang auf des fahrenden Volkes durstigen Schlag, auf die launige Weise und ein sinniges Mahnwort an Alte Herren, die es «vereinst vielleicht noch ärger getrieben; es stammt von einem Egerländer Landsmannschafter zu Prag. Ein überaus frohmütiges Trinklied ist der Kantus «Wenn ich einmal der Herrgott wär» aus dem Jahr 1841.

 

11) Lieder der Alten Herren.

Der ehrenwerte Kantus «O alte Burschenherrlichkeit» hat heute das respektable Alter von 150 Jahren und wurde zuerst von einem Marburger Burschenschafter und Mediziner 1825 gesungen. In der 3. Strophe steht eine uns heute kaum mehr verständliche Formulierung, nämlich der Satz: «Wo sind sie die vom breiten Stein nicht wankten und nicht wichen»? Was heisst das? Man muss wissen dass die Couleurstudenten, namentlich die Corpsstudenten, meist adeliger oder sonst gutbürgerlicher Abstammung waren, also von Haus aus gewisse Respektspersonen, denen man auf der Strasse Ehrerbietung zu erweisen hatte. Diese Respektsbezeugung übertrug sich zwangsläufig auf den aufkommenden Geistesadel, dessen Träger vornehmlich eben die Studenten waren, zumal man damals eine schier grenzenlose Hochachtung vor Wissenschaft und Bildung hatte. Es gibt einen dazu passenden Kantus, der - wiederum von Wilhelm Müller aus dem Jahre 1821 - mit den Worten beginnt: «Wenn wir durch die Strassen ziehen, recht wie Bursch in Saus und Braus», und dazu passt nun die Wendung vom breiten Stein. Es war nämlich üblich, dass die Studenten, wenn sie durch die Strassen zogen, vom sog. breiten Stein - das ist der gut gepflasterte breite Teil der Strasse - nicht zu weichen und in die Pfützen zu treten brauchten, wenn ihnen Bürger und Philister begegneten und ergo in dieser Geisteshaltung eben «den Herrn der Er.de glichen». Das Nichtausweichen auf offener Strasse eines in Bern studierenden Heidelberger-Franconia-Burschenschafters (Dr. Robert Schöpfer aus Solothurn!) vor einem andern Waffenstudenten führte um 1892 herum sogar in Bern zu einem Duell und kostete einem der Kontrahenten beinah die ganze Nase, wie es im Kantus «Ich zog, ich zog zur Musenstadt» geschrieben steht: «Geschwungen hab ich meinen Speer, stand meinen Mann auf der Mensur, jetzt hab ich keine Nase mehr - 0 Academia». (Der Speer, auch Schläger und Hieber genannt, war seit dem ·18. Jahrhundert die spezifisch studentische Mensurwaffe.)

Der in Altherrenkreisen stets gern gesungene Kantus «Viel volle Becher klangen, viel helle Stimmen sangen vor uns in diesem Raum» hat zwar einen etwas wehmütigen, aber doch gediegenen Inhalt und lässt gewiss jedem Alten Herrn und wackeren Zecher eine ehrbare Zähre nach fröhlichem Pokulieren in den Augenwinkeln hervorquellen.

Wir wollen hier auch der Schöpfer der folgenden melodiösen Kleinodien ehrend gedenken: Josef Viktor Scheffel mit «Alt-Heidelberg zu feine», ein Kantus, der seit 1852 von allen Studenten gesungen wird, auch wenn sie Heidelberg nie gesehen haben, ferner Graf Wickenburg, der 1888 das Lied «Heidelberg du Jugendbronnen» schuf. Beide Lieder kann man bis ins hohe Alter immer wieder mit jugendlicher Frische und Begeisterung und mit klangvollem Forte sich selber und andern zu Gehör bringen. im schmissigen Kantus «Heidelberg, du Jugendbronnen» ist die Rede von einem Landesvater. Was ist darunter zu verstehen? Es ist die Bezeichnung einer couleurstudentischen feierlichen Zeremonie, für die wir demokratischen Schweizer zwar commentmässigen Respekt, aber keine innige Anteilnahme bezeugen können. Unter dem Gesang eines besonderen Liedes «Allesschweige! Jeder neige ernsten Tönen nun sein Ohr !» werden die Couleurmützen aller Teilnehmer mit den Schlägern der Chargierten durchbohrt, verbunden mit einem im Lied betonten Gelöbnis der Treue zur Verbindung, zu den Bundesbrüdern, zum Vaterland und zum Landesfürsten oder Landesherrn, eben dem Landesvater, der in einem alten Lied denn auch als «Landesvater, Schutz und Rater» besungen wird. Die heutige Form und Fassung des Landesvaters, also der Zeremonie, geht auf einen Kieler Rechtskandidaten 1781 zurück. Die durchbohrte Mütze galt als symbolische Wunde und als Gleichnis der Bereitschaft zum Tod für das Vaterland; der kleine Riss wurde mit einer Blume geschmückt, wie uns Walter Bloem berichtet.

Ein sehr schönes Altherren-Lied, das aber in der Wengia nicht bekannt ist, heisst: «Als ich schlummernd lag heut Nacht, lockten süsse Träume, schimmernd in der Jugendpracht, mich in ferne Räume». Worte und Melodie wurden preisgekrönt. Auch der schon erwähnte Kantus «Es hatten drei Gesellen» ist ein richtiges Lied für Alte, aber noch keineswegs mürbe Herren und hat den Nicht-Arier Elias Salomon zum Vater (1835). Ein stets gesungenes schönes Alt-Herrenlied ist der Kantus «Was die Welt morgen bringt», von Rud. Baumbach (1882). Noch ein besonderes Lied gehört hierher: «Student sein, wenn die Veilchen blühn». Es ist ein männerstarkes Opus; eigentlich für Waffenstudenten bestimmt und ist, recht wirkungsvoll, mit allen Schikanen zu singen. Der Kantus ist erst 1906 entstanden, also just in der hoch-wilhelminischen Periode, wo Schneid, Schmiss, Ehrenkodex und unbedingte Vaterlandstreue, verbunden mit heller militärischer Begeisterung, hoch im Kurs standen. Der Kantus ist überaus wuchtig, klangvoll und in der Stimmlage allen Stimmbändern angepasst. Ich habe es im Sommer dieses Jahres persönlich erlebt, wie dieser Kantus einem Burschen und Alten Herrn so recht eindrücklich die herrlich-schöne Romantik des Burschenlebens vor Augen führen kann. Es war nach einem prachtvollen, sangesfreudigen Bucheggberger Stamm der Wengia. Aus naheliegenden Gründen musste ich mein Benzinross im Bierdorf stehen lassen und zu Fuss die heimatliche Kemenate ansteuern. Für die rund 8 km lange Wegstrecke brauchte ich gut und brav drei ganze Stunden oder mehr. Ich sang in einem fort, war bester Dinge und schätzte mich über diese Wanderung frühmorgens glücklich wie selten zuvor. Allmählich dämmerte der Morgen. Plötzlich hub eine Lerche zu jubilieren an, und alsobald grüsste mich der erste Sonnenstrahl. Da kam mir, trotz meiner «Kreuz schweren» Not, so recht eindrücklich die unvergleichliche Schönheit des Studententum zum Bewusstsein; «Student sein, wenn die Veilchen blühen, das erste Lied die Lerche singt, der Maiensonne junges Glühen triebweckend in die Erde dringt. Student sein, wenn die weissen Schleier vom blauen Himmel grüssend wehen: das ist des Daseins schönste Feier! Herr, lass sie nie zu Ende gehn!» - Ich gäbe diese frohmütigen, glücklichen Morgenstunden um keinen Preis zurück.

Schliesslich sei noch das Hobellied von Ferdinand Raimund aus dessen Lustspiel «Der Verschwender» erwähnt, das mit den Wor[1]ten beginnt «Da streiten sich die Leut herum» (1833), komponiert von Konradin Kreutzer, dem Komponisten der Oper «Das Nachtlager von Granada. Ein wehmütiges Lied ist der Kantus «Ich zog, ich zog zur Musenstadt», der in der Wengia heute leider nicht mehr gesungen wird. «Auf den Bergen die Burgen, im Tale die Saale», das Heimwehlied der Studenten von Halle ist leider auch in Vergessenheit geraten.

 

12) Lieder mit balladenähnlichem Stoff.

Es gibt eine Menge Kanten mit balladenähnlichem Inhalt, allen voran der Kantus «Wütend wälzt sich einst im Bette». Wer war dieser legendenumwobene Kurfürst Friedrich von der Pfalz? Er hat tatsächlich gelebt, und zwar um 1600 herum, hiess mit vollem Namen Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz, war Calvinist und residierte in Heidelberg. Durch Zufall habe ich vor einigen Jahren im Gasthaus zum Ochsen in Königsbach bei Pforzheim eine Urkunde entdeckt über ein Bauvorhaben dieses Kurfürsten in selbiger Ortschaft, denn er war, wie seine Vorgänger, ein eifriger Bauherr, hat er doch 1606 den Grundstein gelegt zur Festung und Stadt Mannheim. Er hat wirklich ein Testament geschrieben mit ungefährem Text in Prosa, so wie er uns aus dem Lied bekannt ist: «Seid vernünftig, liebe Leut, dieses geb ich zu Attest: Heute wieder voll gewest». Jedenfalls findet sich diese Stelle in seinem «Tage- und Ausgabenbuch» unterm Datum vom 9. Juni 1598. Und am 30. Juli trug er in sein Tagebuch ein: «Hab ich einen Rausch gehabet». Dieses Tagebuch ist von Wille in Buchform erschienen.

Ein nicht minder bekanntes und 'wohlklingendes studentisches Tonwerk ist «Das war der Graf von Rüdesheim» (1875), verfasst von zwei Ärzten, ein Kantus, der überaus melodiös und zuweilen recht melodramatisch vorgetragen wird, denn die Ballade reizt zu einem solchen Vortrag.

Die humorvollen Scheffel'schen Studentenlieder haben alle einen balladiösen Inhalt: «Im schwarzen Walfisch zu Askalon», sodann «Als die Römer frech geworden», «Das war der Zwerg Perkeo» und nicht zu vergessen seine Rodensteinlieder, welche die Taten und Untaten des legendären wilden Heeres aus dem Odenwald besingen, zugleich aber auch den garstigen und widerspenstigen Gastwirten zu Leibe rücken. Der Zwerg Perkeo war um 1720 herum Hofnarr beim Kurfürsten Karl Philipp von der Pfalz auf Schloss Heidelberg; er hiess mit seinem bürgerlichen Namen Klemens Perkeo und stammte aus dem Tirol, doch 1720 wurde die Residenz des Kurfürsten endgültig nach Mannheim verlegt, und seit[1]her trauert die alte Burg voll Narben um vergangne Zeit, denkt ihrer alten Fürsten, die so gross und stark darin. Auch die Ballade «Es liegt eine Krone im grünen Rhein» sei als Studentengesang erwähnt.

Hier muss ich noch eines Mannes gedenken, der in einem drollig-makabren Lied verewigt wurde: des Doktors Johann Andreas Eisenbart (1661-1727), der als Augenarzt, Stein- und Bruchschnei[1]der mit dem Titel «Königlich-Preussischer Hofoculist und Rat» in Niederbayern und Preussen teils als Quacksalber in phantastischer Kleidung und mit ebenso phantastischen Instrumenten, teils aber auch als sehr befähigter Vertreter der ärztlichen Kunst seiner Zeit wirkte, seine Fertigkeiten jedoch zuweilen ins Wunder[1]same steigerte. Anfangs des 18. Jahrhunderts ist der gruselige Studentenkantus entstanden «Ich bin der Doktor Eisenbart, kurier die Leut nach meiner Art».

Zum Schluss will ich noch ein Wirtshaus erwähnen, bzw. deren zwei, die schon zur Zeit des Deutschen Bauernkrieges 1525 und des 30-jährigen Krieges bis in unsere heitern Tage hinein immer wieder neuen Stoff geliefert haben zu den uns allen bekannten Wirtinnenversen. Es gibt ein Lied, das im Kommersbuch älterer Ausgaben noch enthalten ist und lautet: «Es steht ein Wirtshaus an der Lahn, da kehren alle Fuhrleut an» mit insgesamt 6 harmlosen Strophen, ja ich möchte sagen, mit beinah verdächtig prüdem Inhalt. Im ganzen gibt es aber rund 600 Wirtinnenverse, einer geiler und garstiger als der andere. Nun machen sich eben zwei Wirtshäuser den zwiespältigen Ruhm lüsterner Wirtinnen streitig. Einmal das eigentliche «Wirtshaus an der Lahn» gegenüber Schloss Lahneck und Stolzenfels In Niederlohnstein bei Marburg. Es ist ein Wirtshaus mit prächtigem Fachwerkbau aus dem 13. Jahrhundert. Sodann gibt es noch das wahrscheinlich echte Wirtshaus an der Lahn, nämlich das historische Wirtshaus in Marburg selbst; im Untertitel heisst es auch «Zum Schützenpfuhl». Dieses Haus wurde 1370 erbaut und sieht aussen wie innen sehr originell aus. Ich habe mir in meinem scholastischen Forschungsdrang vor Jahren beide Wirtshäuser aus nächster Nähe besehen, und ich neige auf Grund meiner persönlichen Inspektionen zur Ansicht, dass im letzteren die Fuhrleute zuhauf eingekehrt sein müssen und mit ihrer handfesten Fuhrmannssprache zur Entstehung de· Wirtinnenverse beigetragen oder den Anstoss dazu gegeben haben. Die Wirtinnen habe ich selbstredend weder im einen noch im andern Wirtshaus mit meinen Recherchen inkommodiert. Das zweite Haus in Marburg, also der «Schützenpfuhl» (bedeutet wohl Stammlokal der Schützen), bot jedenfalls zu allen Zeiten für die sagenhaften Mägde, Knechte, Burschen, Fuhrleute, Soldaten, Vier und dergleichen mehr Räumlichkeiten und heimliche Verstecke als das erstgenannte Haus in Niederlahnstein.

Und nun noch ein Wort zur neuesten Ausgabe des Allgemeinen Deutschen Kommersbuches, das 1976 im Offsetdruckverfahren und in gediegener Ausstattung herausgekommen ist. Die erste Ausgabe erschien 1858, das Buch erlebte trotz Kriegen und Wirrnissen aller Art bis heute 159 Auflagen, sicher ein beredtes Zeichen seiner Beliebtheit und eines echten Bedarfs. Das deutsche Kommersbuch ist in seinen letzten Ausgaben erweitert worden mit ernsten und frohen Liedern aus den beiden Weltkriegen und der Zwischenkriegszeit (jedoch ohne etwaige Ergüsse aus der Hitlerzeit) und ist frei von schimmernder Morgenröte aus dem Osten. Das Allgemeine Deutsche Kommersbuch, herausgegeben von den Herren Hermann und Moritz Schauenburg in Lahr im Schwarzwald, beinhaltet ein köstliches Kulturgut sondergleichen und verdient die Unterstützung aller farbentragenden Verbindungen, ist es doch eine Dokumentation des lebensfrohen, traditionsbewussten Studententums deutscher Zunge.

 

Literatur:

Alfred Biese: Deutsche Literaturgeschichte. - Band 1 - München 1920

Walter Bloem: Brüderlichkeit (Studentenroman) Leipzig/Zürich 1922

Walter Bloem: Der krasse Fuchs, - Leipzig und Zürich 1911

Echtermeyer/Wiese: Deutsche Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. - Düsseldorf 1974

Wilhelm Fabricius: Die deutschen Corps. – 1925

Fichte Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. - Origi[1]nalausgabe, Berlin 1808

R. Fick: Auf Deutschlands hohen Schulen. Berlin/Leipzig 1900

Handbuch der Deutschen Burschenschaften (ohne Verfasser) Berlin 1892

Georg Heer: Geschichte der Deutschen Burschenschaften, Bd. 2 und 3, herausgegeben von Hermann Haupt. - Heidelberg 1927 und 1929

Helvetia 1832-1932. Festschrift zur Jahrhundertfeier der schweizerischen Studentenverbindung Helvetia. (Diverse Verfasser) Bern 1932

Schweizerische Studentenverbindung Helvetia, Separatabzug aus dem Stat. Jahrbuch der Schweiz 1899

Illustriertes Taschen-Liederbuch. 20. Auflage - Mühlheim an der Ruhr

Fritz von Jagwitz: Geschichte des Lützowschen Freikorps, Berlin 1872

Liederbuch des Wingolf. - Leipzig 1893

Liepmann M.: Duell und Ehre. – 1904

Valentin Lötscher: Felix Platter. Tagebuch. - Basel 1976

Golo Mann: Wallenstein. - Frankfurt am Main 1971

Max Mendheim: Eichendorffs Werke. Leipzig 1927

Poli-Liederbuch der ETH Zürich

Karl Reifert: Deutsches Kommersbuch. - Freiburg i/Br. 1896

Schauenburgs Allgemeines Deutsches Kommersbuch. - Lahr - div Jahrgänge

L. Schmieder: Heidelberg und Umgebung. - Heidelberg ohne Jahrgang

Friedrich Schulze und Paul Ssymank: Das deutsche Studententurn

Georg Stark: Kleiner Staffel berg-Führer. - Lichtenfels 1974

Taschen-Liederbuch für Deutsche Techniker. - Essen 1900

Albert Zipper: Körners Werke. - Leipzig 1927

 

 

Publiziert im Wengianer Nr. 9/10, Januar 1977

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